An(ge)dacht

Meine Augen haben deinen Heiland gesehen, das Heil, das du bereitet hast vor allen Völkern. (Lukas 2,30-31)

Kennen Sie das? Da wird einem eine Zeichnung gezeigt und gefragt, was man sieht. Ist doch klar, so geht es mir durch den Kopf, da ist mit wenigen Strichen deutlich eine ältere Person gezeichnet worden. Doch halt, wenn ich länger und genauer hinschaue, so werde ich auf einen jungen Menschen aufmerksam, der ebenfalls zu erkennen ist. Beides ist zu sehen, man muss nur genau hinschauen und sich auf das Bild einlassen. Erst dann wird man beide Personen sehen.
Was sahen die Menschen an jenem Tag in Jerusalem, als sie in den Tempel gingen? Da waren Tausende von Pilgern unterwegs, um an diesem Ort zu beten und Gottesdienst zu feiern. Zugleich haben sich auch viele Eltern auf den Weg gemacht, um die vorgeschriebenen Opfer nach der Geburt ihres Kindes darzubringen. Eine Szene, wie sie sich immer und immer wieder so abgespielt hat. Plötzlich aber steht Simeon auf, geht auf ein Paar zu und nimmt das etwa sechs Wochen alte Kind auf den Arm. Warum genau dieses Paar, warum genau dieses Kind? Das wird nicht gesagt, aber Simeon sieht an diesem Tag eben noch etwas anderes. Vermutlich liegt es daran, dass er eine besondere prophetische Gabe hat. Eine Gabe, die es ihm ermöglicht, genauer hinzusehen und zu erkennen, dass es sich nicht um ein Kind wie jedes andere handelt. Er sieht, wie Gott selbst in diesem Neugeborenen in diese Welt kommt. Er sieht, wie sich in diesem Kind die alten Verheißungen erfüllen, die dem Volk Gottes bereits vor Jahrhunderten gegeben wurden.
Vor allem fällt auf, wie wichtig für ihn der Frieden Gottes ist. Dieser Friede ist nicht nur der Welt verheißen, sondern gilt ihm und damit allen Menschen persönlich. Nun kann er in diesem Frieden – in dieser heilvollen Gegenwart Gottes gehen (Vers 29). Der Ausleger Adolf Schlatter (1852-1938) hat das vor vielen Jahrzehnten einmal so auf den Punkt gebracht: „Weder das, was von nun an auf Erden geschieht, noch das, was ihn drüben erwartet, bereitet ihm Angst.“ Wenn Gott mit uns und für uns ist, brauchen wir uns nicht mehr zu fürchten. Wir wissen ja, dass er uns freundlich ansieht und dass wir auf seine Gegenwart zählen können. Er ist uns in seinem Sohn Jesus
gegenwärtig. Was sehen wir, wenn wir uns auf Weihnachten vorbereiten? Erinnert es uns daran, dass vor vielen Jahren ein Kind in ärmliche Verhältnisse hineingeboren wurde? In einem Land, das damals wie heute mehr als instabil ist? Oder können wir in diesem Kind sehen, wie Gott seine Rettung, sein Heil auf diese Erde bringt? Ich wünsche es mir, dass ich gerade in diesem Jahr, in dem wir so viel von Krieg und Krisen hören, genau hinsehe, was an Weihnachten passierte und passiert: Gottes Rettung, sein Heil kommt auch zu uns. Sein Friede gilt uns – auch wenn ringsum Chaos zu herrschen scheint.

Michael Schröder
Pastor der Gemeinden Dautphe, Hommertshausen und Mornshausen